Aus Frust über Bürokratie: „Auerbachs Keller“ schließt für einen Tag

Bernhard Rothenberger. Foto: Auerbachs Keller, Peter Figge
Am heutigen 20. April hält Bernhard Rothenberger sein Restaurant, „Auerbachs Keller“ in Leipzig, geschlossen. Foto: Restaurant, Peter Figge

Wer sich heute in Leipzig aufhält und in der Traditionsgaststätte „Auerbachs Keller“ speisen möchte, der wird vor verschlossenen Türen stehen. Pächter Bernhard Rothenberger protestiert gegen die Bürokratie.

Das Restaurant Auerbachs Keller in Leipzig hat geschlossen. Nein, es handelt sich nicht um eine dauerhafte Schließung. Vielmehr protestiert Pächter Bernhard Rothenberger, der die Aktion „Tag der Bürokratie“ nennt, gegen die hierzulande ansässigen Behörden. Rothenberger nutzt die „freie“ Zeit am heutigen Tage, um seine 110 Mitarbeiter über die neuesten Bestimmungen zu belehren und damit die gesetzlich vorgeschriebene Unterweisungen umzusetzen. „In den vergangenen Jahren haben die gesetzlichen Belehrungen und Vorschriften überhandgenommen. Wir ersticken in Verordnungen. Das ist während der Arbeitszeit nicht mehr zu bewältigen. Die Arbeitszeitordnung zwingt uns in ein enges Korsett, unternehmerische Entscheidungen werden dadurch konterkariert. Deshalb musste ich schweren Herzens diese Entscheidung treffen“, so Rothenberger auf der Website des Restaurants.

Weiter heißt es, dass Pächter Bernhard Rothenberger damit auf einen Hilferuf seiner Abteilungsleiter reagiert. „Wegen der Arbeitszeitordnung hatten wir einfach keinen Spielraum mehr und keine Arbeitszeit für den Gast übrig, weil wir nicht mehr ohne weiteres Überstunden machen dürfen“, so Rothenberger. Die Vorschriften-Flut geht dem Pächter der Traditionsgaststätte auf den Geist. Dennoch stellt Rothenberger klar, dass Dinge wie Brandschutz und Erste Hilfe natürlich wichtig sind und im „Auerbachs Keller“ penibel umgesetzt werden.

Erstmals in zehn Jahren bleibt das Restaurant geschlossen

Foto: kunstmann-fotografie
Foto: kunstmann-fotografie

Erstmals in 10 Jahren schließt das Restaurant für einen Tag seine historischen Räumlichkeiten. Neben der Bar sind auch der Große Keller und die Historischen Weinstuben geschlossen. Auf seiner Website nennt das Restaurant drei Beispiele, um seinen Gästen diesen äußerst ungewöhnlichen Schritt zu erklären.

  • Im „Auerbachs Keller“ gibt es gesetzlich zwingend einen Bildschirmbeauftragten, der den Abstand der Bildschirme korrigiert. Das Gesetz wurde aufgrund der Strahlung der in der Vergangenheit oftmals benutzten Röhrenbildschirme in Kraft gesetzt. Allerdings arbeitet heutzutage fast jeder Mensch längst mit einem Plasmabildschirm.
  • Aufgrund des Datenschutzes muss es einen weißen und einen roten Mülleimer geben. Der rote Mülleimer ist für Dokumente gedacht, auf denen Namen und Adressen zu sehen sind. Der Gesetzgeber gibt vor, dass ein Aktenvernichter Schnipsel schneiden muss. Der des „Auerbachs Keller“ spuckte allerdings Streifen aus und musste daher ausgetauscht werden. „Man könnte glauben, wir sind ein Atomkraftwerk und kein Restaurant“, so Rothenberger.
  • Alle Mitarbeiter, auch die der Verwaltung, müssen laut Gesetzgeber eine Kohlendioxid-Unterweisung bekommen. Dies ist wichtig für Schankanlagen, wenn die Ventile für Bier geöffnet werden. Allerdings haben die Verwaltungsmitarbeiter mit dem Ausschank rein gar nichts zu tun.

Das Restaurant, in dem sich der Dichter Johann Wolfgang von Goethe des Öfteren aufgehalten hat, ist weit über die Stadtgrenzen Leipzigs hinaus bekannt und vermutlich sogar weltberühmt. Hier ritt Johann Georg Faust auf einem Fass aus dem Keller. So lautet zumindest die Sage, welche wir aus Goethes Faust kennen. Das seit 1525 nachgewiesene Lokal hat sicherlich bereits den ein oder anderen Tag erlebt, an dem die Pforten geschlossen blieben. Aber aus einem solchen Grund? Kaum vorstellbar! In einem Interview mit der WELT geriet Bernhard Rothenberger in Rage. Angesprochen auf den Protest entgegnete der Pächter: „Von Protest kann nicht die Rede sein. Da käme ich mir vor wie Don Quichotte. Gegen Bürokratie zu protestieren hätte so viel Sinn, wie im Mittelalter gegen die Pest zu demonstrieren. Dagegen kann man nichts machen. Deutschland ist vernarrt in die Bürokratie.

Auch zur Veränderung der Bürokratie in den letzten Jahrzehnten hat Rothenberger eine klare Meinung: „Ich bin seit 40 Jahren in der Gastronomiebranche tätig und habe erlebt, wie die Bürokratie, all die Vorgaben und Auflagen für Mitarbeiter, Hygiene, Arbeitszeiten, Brandschutzvorgaben und was weiß ich nicht alles zugenommen haben. Vor allem in den vergangenen acht Jahren hat es einen rasanten Zuwachs gegeben. All die Ankündigungen der Politik, Bürokratie abzubauen, waren leere Versprechen. Ist der Stoiber in Brüssel schon fertig, und hat er etwas bewirkt? Wenn ja, ich habe es nicht mitbekommen.

„Es ist immer irgendjemand da, der etwas aufschreibt und kontrolliert“

Tagtäglich, so berichtet Rothenberger, werde sein Betrieb überprüft. Jugendschutz, Hygiene, Brandschutz, Berufsgenossenschaft, Zoll, Finanzamt. Es sei immer irgendjemand da, der etwas kontrolliert und aufschreibt.

Für eine solche Unterweisung, die heute im „Auerbachs Keller“ stattfindet, muss ein Nachweis erbracht werden. Im Normalbetrieb ist es für den Pächter nicht möglich, diese unterzubringen. „Es gibt schlicht keinen Spielraum, weil wir nur begrenzt Überstunden machen dürfen“, so Rothenberger im WELT-Interview. Und selbst an diesem einen Arbeitstag, den der Pächter für gesetzlich geforderte Unterweisungen eingeplant hat, wird er nicht fertig werden. Der WELT rechnet Rothenberger vor: „Eine Stunde Hygiene und Gefahrenschutz, eine halbe Stunde Datenschutz, eine halbe Stunde Brandschutz, eine Stunde Erste Hilfe, dann folgen Unterweisungen zur Nutzung von Leitern und Tritten sowie zum Heben und Tragen. Zuletzt sind der Mutterschutz und diverse Spezialthemen dran.

Teilweise muss das Restaurant sogar externe Fachleute aus dem gesamten Bundesgebiet anheuern, die solche Weisungen übernehmen. Das kommt zum Umsatzverlust, der nicht gerade klein ist, dazu. Allerdings habe Rothenberger bewusst den Mittwoch ausgewählt. Dies sei „ein mittelprächtiger Tag“, an dem das Restaurant aber immerhin etwas mehr als 20.000 Euro Einnahmen verliert. Doch nicht nur das Leipziger Restaurant „Auerbachs Keller“ verliert Geld. Denn auch dem Staat entgehen heute satte Steuergelder.

20. April 2016