Das Sterben der Sternerestaurants

Immer mehr Sternerestaurants verschwinden in der Versenkung. Trotz horrender Preise rechnet sich die Spitzenküche meistens nicht. Sie funktioniert nur dank eines Mäzens, eines Hotels oder eines Chefkochs, der im Fernsehen auftritt. © Markus Bormann - Fotolia.com

Immer mehr Sternerestaurants verschwinden in der Versenkung. Trotz horrender Preise rechnet sich die Spitzenküche meistens nicht. Sie funktioniert nur dank eines Mäzens, eines Hotels oder eines Chefkochs, der im Fernsehen auftritt.

Kochen ist das Eine. Ein Restaurant finanziell erfolgreich führen das Andere. Das merken viele Spitzenköche, die sich über Top-Positionen in den Restaurantführern Guide Michelin und Gault Millau freuen können. Dazu zählt Claudio Urru, ehemaliger Chefkoch und Geschäftsführer des Sternerestaurants top air in Stuttgart. Über ein eigenes Restaurant würde Urru niemals nachdenken. «Ich möchte diesen Invest nicht tragen.» In Deutschland scheint ein Sternerestaurant nur dann zu funktionieren, wenn es zu einem Konzern oder einem Hotel gehört, wenn ein Mäzen dahinter steht oder der Chefkoch prominent ist. «Alle Sterneköche, die meinen, das allein mit ihren Händen stemmen zu können, kommen schnell an die Realitätsgrenze», sagte Andreas Eggenwirth, der Inhaber einer Gourmet-Agentur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Der Einkauf von Nobelprodukten und die Ausstattung kosten viel Geld. Da kann man als Koch schonmal den Überblick verlieren. Besonders ein guter Steuerberater wird empfohlen. Das weiß auch Volker Drkosch, der sein eigenes Restaurant schließen musste, bis er in dem von einem Unternehmer finanzierten Top-Restaurant Victorian in Düsseldorf landete. Inzwischen gibt es nur noch wenige Beispiele, die gesunde Restaurants der Spitzengastronomie hervorbringen. Eines davon ist das Le Moissonnier in Köln. Hier hat sich das Restaurant die vorhandenen zwei Michelin-Sterne aus eigener Kraft erarbeitet: Eine Seltenheit in der Gastronomie. Die Ansprüche sind gewachsen. In den Neunzigern begleitete eine Sauce den Hummer, heute dagegen sollten unterschiedliche Jus, Dips, Essenzen und Espumas gleichzeitig vorhanden sein. Kleiner Portionen sind viel filigraner angerichtet als noch vor 20 Jahren. Schon die optische Herrichtung der Teller kostet Zeit.

Zurück zu Claudio Urru, der auch auf die Besonderheit der «amuses bouches», also der kleinen Extras hinweist. «Ein Sechs-Gänge-Menü kostete bei mir zum Beispiel 108 Euro. Mit den ,amuses bouches’ waren es aber in Wirklichkeit zehn Gänge. Ohne dass ich den Preis anheben konnte.» Es sei heute nichts Besonderes mehr, einen Stern zu haben. «Die Gäste, die das notwendige Geld haben, gehen dann gleich in die Zwei- und Drei-Sterne Restaurants», so Urru. Doch auch die derzeitige Obergrenze für das größte Menü der Drei-Sterne-Köche liegt mit circa 200 bis 230 Euro deutlich zu niedrig. Umso mehr bauen die Restaurants darauf, dass die Gäste bei den Getränken zulangen. So entstehen vor allem bei Weinen große Gewinnspannen. «Wenn es gut läuft», erklärt Drkosch, «konsumiert ein Tisch mit vier Personen für 150 Euro Wein. Manche trinken aber wenig, und man kann ja auch niemanden dazu verpflichten.»

Laut dem bekannten Erlebnisgastronom Hans-Peter Wodarz haben es Spitzenköche in Deutschland schwer. Zur angekündigten Schließung des Sternerestaurants Margaux in Berlin äußerte er sich wie folgt: «Wenn das Margaux in Paris stünde, wäre es jeden Abend brechend voll und die Leute würden den dreifachen Menüpreis zahlen». Das Menü bei Frankreichs Spitzenkoch Alain Ducasse steht derzeit mit 320 Euro auf der Karte. In Deutschland würde dies niemand zahlen. Es ist eine alte, über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Differenz. Diese Unterschied besteht auch in der Akzeptanz der Abwesenheit des Namensgebers. So betreibt Ducasse Restaurants auf der gesamten Welt, auch wenn «nur» seine Brigade kocht. In Deutschland steckt dieses System in den Kinderschuhen. Juan Amador hat versucht, neben seinem früheren Drei-Sterne-Restaurant ein weiteres Lokal zum Blühen zu bringen; nach kurzer Zeit schloss er sie wieder. Im Moment ist es einzig Tim Raue, der mit zwei Restaurants in Berlin aktiv ist: Dem Restaurant Tim Raue und dem Restaurant Sra Bua by Tim Raue im Hotel Adlon Kempinski.

Was in Deutschland allerdings immer öfter zu finden ist, sind zwei oder drei Restaurants unter einem Dach. Zwei-Sterne-Koch Karl-Heinz Hauser betreibt das Restaurant Seven Seas im gleichen Haus wie das Deck7. Auch ein Biergarten ist dem Haus am Hamburger Süllberg angeschlossen. Meistens klappt das bei den Gastronomen, die den Wandel der Zeit verstanden haben: Die Veredlung einfacher Produkte. «Hummer und Gänseleber weichen Makrele und Kabeljau», stellt auch Thomas Bühner vom Restaurant La Vie in Osnabrück fest. «Schauen Sie sich doch nur mal um», seufzt Bühner. «In Italien, England, den Vereinigten Staaten, Frankreich oder Japan ist es nicht üblich, dass die Gäste einen Tisch den ganzen Abend belegen. Dort wird, überspitzt formuliert, mit dem Espresso auch gleich die Rechnung serviert. Und die Gäste wissen, dass sie jetzt zu gehen haben.» So rechnet sich Spitzengastronomie offensichtlich.

08. August 2013