Zerfällt die einstige Sterneküche Frankreichs?

Mit 26 Drei-Sterne-Restaurants ist die französische Küche nach wie vor die beliebteste und erfolgreichste Cuisine der Welt. Doch in unserem Nachbarland entbrennt ein Streit, denn immer mehr Restaurants nutzen vorgefertigte Industriewaren: Gastronomen alter Schule wollen nun den Begriff «Restaurant» schützen lassen.

Crème brûlée aus der Kühltruhe, Soße aus dem Eimer und Salat aus der Tüte: Alles Begriffe, die der Franzose so lange Jahre nicht kannte. Denn schließlich ist die französische Küche der Vorreiter vieler Ideen. Die meisten gehobenen Restaurants richten sich nach ihr und bauen individuelle Ideen auf dem Konzept der französischen Haute Cuisine auf. Es sind Gerichte wie Rind in Rotwein, Bouillabaisse oder Lammkarree mit Knoblauch, die Frankreich den Ruf großer Kochkunst beschert haben. Doch dem kulinarischen Genuss droht der Verfall.

Jenseits des Genusslandes macht sich Massen- und Systemgastronomie breit. Pizza, Sushi, und Hamburger verdrängen Kalbskopf oder Schweinefuß. Die Mittagspause ist während der vergangenen 40 Jahre von eineinhalb Stunden auf knappe 38 Minuten geschrumpft: Die knappe Zeitkalkulation und der Stress scheinen die Sterneküche zu verunstalten. Geplagt durch Mehrwertsteuererhöhung und Wirtschaftskrise hat der Absatz der Fast-Food-Branche im vergangenen Jahr erstmals in der Geschichte Frankreichs den Verkauf der Restaurants übertroffen, in denen das Essen am Tisch serviert wird. Nicht nur in Fast-Food-Ketten, sondern auch in Bistros und Brasserien werden inzwischen weitestgehend vorgefertigte Waren benutzt.

Laut einer Erhebung der gehobenen Gastronomen sind 31 Prozent der französischen Gaststätten auf Industriewaren umgestiegen. Geschmackskonzentrate, Vakuumpacks, Soßen aus dem Eimer und Dosengemüse sind im Land der Kulinarik keine Seltenheit mehr. Ein Viertel der Speisen wird nicht mehr gekocht, sondern zusammengerührt oder aufgewärmt - ohne jeden Hinweis auf dem Menü. Der Berufsverband Synhorcat ist eine Vereinigung von Hoteliers, Gastronomen und Café-Besitzern, welche den Begriff «Restaurant» nun schützen lassen will. Derzeit ist ein Restaurant offizeil ein Ort, «in dem Geld gegen Essen serviert wird.» Eine Definition, die sich ändern soll. Die Gastronomen wollen einen Standard einführen, der wie bei Weinen, wo es die Bezeichnung AOC («Appellation d'Origine Controlée») gibt, Herkunft und Qualität garantiert.

Frankreich hält mit 26 Drei-Sterne-Restaurants im «Guide Michelin» so viel wie kein anderes Land. Doch dies droht sich zu ändern.

Vorbild sind die Bäcker, die im Jahre 1998 gegen die Einführung der Baguettes in Supermärkten erreichten, dass die Bezeichnung «Boulangerie» («Bäckerei») nur noch für Läden gilt, in denen Mehl gemischt, Teig geknetet und Brot gebacken wird. «Ein Gesetz soll festschreiben, dass man in einem Restaurant der Kundschaft Speisen vorsetzt, die vor Ort gekocht wurden, mit frischen Zutaten», so Synhorcat-Präsident Didier Chenet.

80 Prozent der Köche befürworten den Vorschlag. Doch die Billigkonkurrenz ist dagegen. Kantinen, Sandwich-Läden und Imbisse wehren sich gegen ein neues Gesetz und kündigen massiven Widerstand an. Sie fürchten komplizierte Kontrollen, steigende Kosten und sehen die Vielfalt der Gastronomie gefährdet. Richtig ist: Sollte das Gesetz im Juni durch das Parlament verabschiedet werden, müssten wahrscheinlich zehn Prozent der Gaststätten ihr «Restaurant»-Schild wegräumen.

11. Juni 2013